Ute Goerke

Journalistin / Dipl. Geologin

 

Erschienen als Fachartikel zur Solararchitektur in dem Fachmedium „Sonne Wind & Wärme“ 3/2002, mit vier Fotos, einer Tabelle und einer Grafik.

 

Heizt Europa bald ohne Heizung?

Der Passivhaus-Standard hat die Praxisprobe bestanden. Europaweit sind 14 Projekte genau vermessen worden und siehe da, die theoretisch berechneten Werte für den Heizenergieverbrauch, die Innenraumtemperaturen und den Luftwechsel werden größtenteils eingehalten. Die Ausreißer in den Ergebnistabellen warnen, die Fortbildung der Architekten und Baufachkräfte ernst zu nehmen.

Vom schwedischen Göteborg bis zum bretonischen Rennes ohne Heizung zu bauen: Das Cepheus-Programm (Cost Efficient Passive Houses as European Standards) hat gezeigt, dass dies möglich ist. Für das von der Europäischen Union geförderte Demonstrationsprojekt wurden von 1998 bis 2001 an 14 Standorten in Österreich, der Schweiz, Schweden, Frankreich und Deutschland 221 Wohneinheiten im Passivhausstandard erstellt. Die Häuser wurden jeweils an den regionalen Baustil angepasst. Dabei kamen unterschiedlich Bautypen zum Zuge: Reihenhäuser, Geschosswohnungsbauten sowie freistehende Einfamilienhäuser (in Dornbirn und in Horn in Österreich), bei denen bekanntlich der Passivhausstandard am schwierigsten umzusetzen ist. Neben Kassel-Marbachshöhe wurden auch in Österreich einige Mietwohnprojekte realisiert. „Uns war wichtig, eine breite Palette umzusetzen“, so Helmut Krapmeier, de Projektleiter der österreichischen Cepheus-Projekte. Nach der Auswertung der Messungen über eine Heizperiode in 113 Wohneinheiten steht fest: Das Passivhauskonzept funktioniert „für alle Standorte, alle gewählten Bauweisen und alle Wohnformen, vom Einfamilienhaus bis zum belegungsgebundenen sozialen Geschosswohnungsbau.“ Es folgt eine Zusammenstellung einiger wichtiger Ergebnisse aus dem Cepheus-Endbericht, der vom Passivhaus Institut (PHI) in Darmstadt erstellt wurde.

Qualitätskriterium Nr. 1: Der Heizwärmeverbrauch

Das wichtigste Kriterium für die Beurteilung der Cepheus-Passivhäuser stellt der Heizwärmeverbrauch dar (Abb. 1). In der ersten Heizperiode liegen die Verbräuche bei allen Projekten über denen der vorher berechneten Werte. Bei kleinen Abweichungen ist dies auf das Eingewöhnen an die Gegebenheiten und die Technik zurückzuführen. Ausreißer wie in Dornbirn, bei dem 33 kWh/m2a anstatt der berechneten 19,7 kWh/m2a verbraucht wurden, kommen u.a. durch eine mangelhafte Luftdichtigkeit zustande. Die undichten Stellen konnten nur teilweise behoben werden. Größere Leckagen waren u.a. die Steckdosen und der Anschluss des Fußbodens zur Außenwand im Abstellraum. In Gnigl (25,7 anstatt 18 kWh/m2a) hat sich die Verschattung als sehr bedeutend herausgestellt. Im Kernwinter erreicht das Haus kein direkte Sonneneinstrahlung. Wird diese in die simulationsrechnung einbezogen, liegt der projektierte Heizwärmebedarf statt bei 18 bei 24 kWh/m2a. Hier hat das PHI gelernt und die Verschattung jetzt auch in das Passivhaus-Projektierungspaket (PHPP) aufgenommen.

Luftdichtigkeit ist das A und O

Um Zugerscheinungen, Tauwasserbildung und einen erhöhten Energieverbrauch zu vermeiden, muss beim Bau auf eine luftdichte Gebäudehülle geachtet werden. Bei der Luftdichtigkeit ist eine konsequente Planung das A und O. Dies kann durch einen durchgehenden Innenputz (in Kassel, Egg, Hörbranz und Horn) oder bei Holzleichtbauten durch Foliensysteme (in Göteborg und Luzern) erreicht werden. Eine Besonderheit wurde als Mischform in Horn angewendet. Die Leichtbauwände gen Süden wurden mit Folien und die massiven Wände in die anderen Himmelsrichtungen mit Putz versehen. Die Dichtigkeit wurde bei allen Projekten durch Blower-Door-Tests überprüft (siehe Tab.). Bei sieben von 14 Projekten wurden die Cepheus-internen Zielsetzungen von n50=0,6 h-1 erreicht – bei Projekt Horn fast mit 0,61 h-1. Die gemessenen Luftwechselraten bei einem Druck von 50 Pascal liegen rund 40 % niedriger als die schärfsten derzeit in Europa gültigen nationalen Vorgaben fordern. Die Luftdichtigkeit von rund 1 h-1 an den österreichischen Standorten Dornbirn und Gnigl konnte durch Nachbesserungen gesenkt werden. In Kuchl vermuten die Projektleiter eine hohe interne Leckage durch millimeterbreite und mehrere Meter lange Risse in den Wohnungstrennwänden. Extremer Ausreißer ist Rennes mit 11 h-1. Dort wurde auf eine luftdichte Ebene der Leichtbau-Außenwände an der Nordseite verzichtet.

Komfort im Winter wie im Sommer

Die Behaglichkeit in den Wohnungen ist im Sommer wie im Winter ausgezeichnet. Das ist nicht nur ein Ergebniswert auf dem Papier, sondern die Bewohnerinnen und Bewohner bestätigen dies auch. In der ersten Heizperiode 2000/2001 lagen in keinem der Gebäude die Raumtemperaturen unter 20°C. Generell war allerdings ein Trend zu höheren Temperaturen bis zu 22°C zu verzeichnen, auch weil der höhere Komfort mit nur wenig höheren Kosten zu erlangen ist. So liegt die Heizwärmeeinsparung immer noch bei 86,7 % bei 21°C anstatt 88,5 % bei 20°C Raumtemperatur. Wurde noch vor einem Jahr von vielen Passivhausplanern vertreten, das für das behagliche Wohngefühl 19°C ausreichen, zeigen die Erfahrungen jetzt anderes. Viele Bewohner wünschen sich wohl eine kuschelige Wärme ohne den dicken Wollpullover. Die Innenraumtemperaturen verhalten sich unabhängig von den Außentemperaturen. So berichtet der Koordinator des schwedischen Projektes, Hans Eek: „Die kälteste Nacht seit 1923 hatten wir dieses Jahr zu Neujahr mit -21,5°C. In den Häusern lag die Temperatur zwischen 20 und 26°C. Die Leute waren wohl mehr zu Hause als gewöhnlich und zündeten mehr Kerzen an.“ Im Sommer zeichnet sich der gewünschte Komfort dadurch aus, dass die Räume gerade an heißen Tagen nicht überhitzen. Für den Sommer liegen bislang nur Messdaten aus Hannover-Kronsberg und Luzern vor. Hier lagen die mittleren Temperaturen zwischen rund 22 und 23,6°C. 27°C wurden nur in Ausnahmefällen in einigen der Häuser überschritten. Obwohl die Häuser in Luzern in reiner Leichtbauweise errichtet wurden – es fehlen also Speichermassen, die großen Mengen Wärme puffern könnten – liegen sowohl die mittleren als auch die Spitzentemperaturen unter denen von Hannover. Der Grund liegt in der außenliegenden Verschattung, die in Kronsberg nur bei einigen Häusern vorhanden ist.

Lüftung: Niemand sitzt im „Zug“

Die Behaglichkeit ist nicht nur von der absoluten Raumtemperatur abhängig, sondern kann durch ungewünschte Luftströmungen und Temperaturschichtungen beeinträchtigt werden. Die Messergebnisse aus Luzern zeigen, dass die Simulationen durchaus der Realität entsprechen. Die Luftgeschwindigkeiten im Aufenthaltsbereich lagen unter 0,025 m/s und sind damit von Bewohnern nicht mehr wahrnehmbar. Die Temperaturschichtung war in dem Messbeispiel so gering – 20,5°C in Bodennähe und 20,9°C direkt unter der Decke –, dass Zugerscheinungen ausgeschlossen werden können. Das durchschnittliche Alter der Luft in den Räumen war nirgendwo größer als 90 Minuten.

Akzeptanz und Nutzerverhalten

Ein wichtiger Aspekt des Cepheus-Projektes war die Erhöhung der Akzeptanz in der Bevölkerung bzw. bei potentiellen Bauleuten. Schwierigkeiten damit hatten die Schweizer. Da die Wohnungen wegen der großen Skepsis potentieller Interessenten nicht verkauft werden konnten, wurden sie vermietet. Die Geschosswohnungsbauten in Kassel-Marbachshöhe gelten als Schlüsselprojekt. Bewohnt werden die 40 Wohnungen heute von Sozialmieterinnen und -mietern. „Die Interessenten sind nicht gekommen, weil sie eine Passivhauswohnung suchten, suchten eine gute Wohnung“, so Andreas Hermelink von der Universität Kassel, Fachbereich Bauingenieurwesen, der eine Studie zum Nutzerverhalten in Marbachshöhe durchführt. Entsprechend unbekannt war den neuen Mietern das Wohnen im Passivhaus. „Dennoch sind die Leute sehr gut und sehr schnell zurechtgekommen. Und nach einer Weile loben alle die gute Raumluft“, so Hermelink. Um einen rechtzeitigen Filterwechsel zu gewährleisten, verteilt die Wohungsbaugesellschaft die Filter mit Erklärungen an alle Wohnparteien. „Nach der ersten Winterperiode hatten wir nur 2 kWh/m2a mehr Verbrauch als vorher berechnet worden war. Das ist nicht mehr als in anderen Projekten und auf das Austrocknen der Bausubstanz (Kalksandstein) und Eingewöhnen zurückzuführen ist“, so Jürgen Schnieders (PHI), einer der vier Autoren des Endberichtes. Aber fast noch schwieriger zu überzeugen waren Architekten, Handwerker und Hersteller. Dazu Helmut Krapmeier: „Außerhalb von Vorarlberg gab es zu Passivhäusern in Österreich so gut wie kein Know-how in der Baubranche.“ Spezielle Weiterbildungen für die Projektpartner wurden angeboten. „Es wäre besser gewesen, wenn alle Partner daran teilgenommen hätten“, weiß der Architekt Krapmeier, „dann wären Fehler vermieden worden.“

Perspektive der Kostenentwicklung

Die Mehrkosten von Passivhäusern gegenüber dem konventionellen Bauen sind laut PHI inzwischen auf ein vertretbares Maß reduziert. Verglichen wurde jeweils mit Referenzbauten nach dem üblichen Standard in den jeweiligen Ländern. Die Baukosten auf den Quadratmeter umgerechnet betragen im Durchschnitt 1.143 Euro, wobei die Schwankungsbreite extrem hoch ist (Tab.). Auf der anderen Seite sind aber auch Investitionseinsparungen durch den Verzicht auf die konventionelle bzw. Eine groß dimensionierte Heiztechnik zu verbuchen. Im Durchschnitt aller Projekte liegen die Mehrkosten bei 8 %. Die geringsten Mehrkosten haben die Projekte in Gingl und Göteborg zu verzeichnen. In Gingl dienen die hochwärmegedämmten Fenster als Lärmschutzfenster, die durch die Nähe einer verkehrsreichen Straße sowieso notwendig gewesen wären. In Schweden dagegen ist ein guter Baustandard, insbesondere was die Isolierung, die Fenster, die Dichtigkeit und Lüftungsanlagen betrifft, schon vorgeschrieben. Gerade die Dämmstoffstärken mussten gegenüber den dortigen gesetzlichen Vorgaben nicht wesentlich erhöht werden. Wenn über Kosten gesprochen wird, müssen auch stets die Betriebskosten miteinbezogen werden. Hier kommen zu den geringen Heizkosten lediglich die Ausgaben für den Strom für die Lüftungsanlage und die regelmäßigen Filterwechsel dazu. Dir durchschnittlichen jährlichen Betriebskosten pro Wohneinheit belaufen sich auf 199 Euro und liegen damit 68 % günstiger als bei den Referenzbauten im Mittel. Fazit: Das Cepheus-Projekt hat außer sehr vielen technischen Details gezeigt, dass das Passivhauskonzept nicht nur auf dem Papier funktioniert, sondern auch in mehreren Ländern mit den jeweiligen regionalen Bedingungen in der Praxis realisiert ist.